Burnout - Wege aus der inneren Erschöpfung

von Martin Drogat (2011)

Gliederung 

  1. Was ist Burnout?
  2. Systemintegrative Burnoutprävention
  3. REMIS-B - Systemintegrative Burnouttherapie

 

1975 zum ersten Mal in einem wissenschaftlichen Artikel [1] als Begriff verwendet, breitet sich das Burnout-Syndrom in den vergangenen Jahrzehnten in der westlichen Welt offenbar epidemieartig aus. 2010 waren etwa 100.000 Arbeitnehmer wegen Burnout krankgeschrieben, die Zahl der Burnout-Fehltage stieg seit 2004 um beinahe das neunfache auf 1,8 Millionen. Angesichts dieser Zahlen und der Erfahrungen von mit dem Leiden Betroffenen [2], scheint es zynisch oder zumindest blauäugig, wenn Vorgesetzte das Thema einfach ignorieren oder wenn von "Modediagnosen" gesprochen wird. Ein Burnout ist viel mehr als eine kurzfristige Überarbeitung. Es ist - zumindest im Endstadium - eine schwere Erkrankung mit seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen, die Betroffene in abgrundtiefe Verzweiflung stürzen kann.

Dennoch ist das Burnout-Syndrom bislang medizinisch noch nicht endgültig als "Krankheit" anerkannt. Dies hängt damit zusammen, dass es bei "Burnout" weder eine eindeutig zuzuordnende Ursache noch eine klar abgrenzbare Symptomatik gibt. Burnout entsteht aus einem Wechselspiel vieler Faktoren und tritt in vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen auf. Gesellschaftliche und strukturell-organisatorische Rahmenbedingungen fördern ebenso wie individuelle Risikofaktoren den Absturz in die emotionale Erschöpfung. 

An der Grenze zu diesem Abgrund stehen Millionen Menschen in Deutschland: In einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem Jahr 2007 wurde zur Stellungnahme zu folgender Aussage aufgefordert: "Ich fühle mich wie ausgebrannt, habe das Gefühl, irgendwann umzukippen." 10,5% der knapp 2000 Befragten antworteten mit Ja.

1. Was ist Burnout?

"Ein Burnout-Syndrom (englisch (to) burn out: „ausbrennen“) bzw. Ausgebranntsein ist ein Zustand ausgesprochener emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit. Es kann als Endzustand einer Entwicklungslinie bezeichnet werden, die mit idealistischer Begeisterung beginnt und über frustrierende Erlebnisse zu Desillusionierung und Apathie, psychosomatischen Erkrankungen und Depression oder Aggressivität und einer erhöhten Suchtgefährdung führt.

Burnout ist keine Krankheit mit eindeutigen diagnostischen Kriterien [...], sondern eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund beruflicher Überlastung und wird meist durch Stress ausgelöst, der nicht bewältigt werden kann. Burnout wurde zunächst bei helfenden Berufen beschrieben und ist auch in zahlreichen anderen Berufsgruppen zu beobachten. Dazu gehören Sportler, Politiker, Forschungsmitarbeiter, Langzeitpflegende kranker Angehöriger bis hin zu Verkäufern."[4] 

Die Wikipedia-Definition zeigt, wie schillernd der Begriff ist. Trotz ihrer Weite ließe sie sich an einigen Stellen hinterfragen: Beginnt Burnout immer mit idealistischer Begeisterung? Ist berufliche Überlastung immer beteiligt (es wurde schon Burnout bei Arbeitslosen beschrieben!)? 

Matthias Burisch, Verfasser eines der deutschen Standardwerke zum Thema, fasst in einer umfangreichen Tabelle mögliche Phasen und Symptome eines Burnout-Prozesses zusammen. An dieser Stelle füge ich nur eine stark gekürzte Fassung ein.

 


Burnout-Symptomatik 

Burisch (2010): Das Burnout-Syndrom, S. 25f 

 

 

 

 

 

1. Warnsymptome der Anfangsphase

a) Überhöhter Energieeinsatz  

 

 

b) Erschöpfung

 

 

 

 

2. Reduziertes Engagement 

a) für Klienten, Patienten etc. 

 

 

b) für andere allgemein

 

 

c) für die Arbeit

 

 

d) Erhöhte Ansprüche

 

 

 

 

3. Emotionale Reaktionen; Schuldzuweisung 

a) Depression 

 

 

b) Aggression

 

 

 

 

4. Abbau

a) der kognitiven Leistungsfähigkeit

 

 

b) der Motivation

 

 

c) der Kreativität

 

 

d) Entdifferenzierung 

 

 

 

 

5. Verflachung 

a) des emotionalen Lebens

 

 

b) des sozialen Lebens 

 

 

c) des geistigen Lebens

 

 

 

 

6. Psychosomatische Reaktionen 

 

 

 

 

 

7. Verzweiflung

 

 


 

Die Tabelle zeigt, wie vielfältig das Burnout-Syndrom auftritt, aber auch, wie dramatisch der Verlauf in den letzten Phasen sein kann, wenn nicht rechtzeitig ein Ausstieg aus dem Prozess gefunden wird. Leider fühlen sich viele Betroffene zwar stark unter Druck, glauben aber viel zu lange Zeit, mit etwas mehr Geduld, Durchhaltevermögen und Anstrengung das Ruder herumreißen zu können. Aber Feuer lässt sich auch dann nicht mit Benzin löschen, wenn man die Dosis erhöht ...

Matthias Burisch macht in seinem Standardwerk deutlich, dass es bei der Entstehung eines Burnout nicht ausschließlich um die Arbeitsmenge geht, sondern dass subjektiver Autonomieverlust und andauernde Hilflosigkeit zunächst in übersteigerte Aktivität und schließlich in frustrierter Erschöpfung münden. 

Schwer an Burnout erkrankte Menschen fallen nicht selten viele Monate, oft auch über ein ganzes Jahr aus. Nach einer niederländischen Studie kehrten 45% nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurück[5] - Grund genug, in einem frühen Stadium des Ausbrennens die Notbremse zu ziehen. Unser im Folgenden beschriebenes Präventionsprogramm ist vor allem für Menschen gedacht, die einen "Blick in den Abgrund" getan haben und vielleicht sogar schon die ersten Symptome spüren. 

2. Systemintegrative Burnoutprävention

Burnout hat, wie wir oben gesehen haben, viele Facetten und auch viele Ursachen. Da die gesellschaftlichen Ursachen und auch viele Auslöser auf Organisationsebene für den Einzelnen schwer veränderbar sind, bleibt die Möglichkeit, die Ressourcen des Individuums zu stärken, innere Antreiber zu identifizieren, die Lebensbalance wieder herzustellen und Strategien für eine bessere Abgrenzung zu entwickeln. Dies sind die Bestandteile des individuellen systemintegrativen Burnout-Präventionsprogramms.

 In fünf Einzelsitzungen zu je eineinhalb Stunden entwickeln wir Wege zur Umkehr aus einem beginnenden Burnoutprozess. Natürlich bleiben wir flexibel: Auf Wunsch passen wir das Programm an Ihre Bedürfnisse an.

2.1 Persönlichkeit: Wie gut passt Ihnen Ihr Leben? 

Wie passt Ihre Tätigkeit eigentlich zu Ihnen? Welches Umfeld brauchen Sie, um sich wohlzufühlen und Ihre Leistung abrufen zu können? Was stresst Sie, weil es Ihnen einfach nicht entspricht? Und wie heißen Ihre (vergessenen?) Stärken und Ressourcen, mit deren Hilfe Sie Ihre Aufgaben wieder in den Griff bekommen können?

Mit Hilfe des NAVIKA-Persönlichkeitsprofils arbeiten wir an der Frage, wie Sie Ihr Leben künftig besser auf Ihre Stärken und Bedürfnisse abstimmen können und wie Sie Ihre Balance wiederfinden.[6] 

2.2 Das Innere Team 

Wann haben Sie sich zuletzt bei Ihrem "Inneren Dialog" zugehört? Haben Sie sich schon einmal gefragt, welche Stimmen da eigentlich miteinander im Gespräch sind? Bei näherem Hinhören entdeckt der eine vielleicht einen Buchhalter, einen Clown und einen inneren Kritiker, die andere vielleicht eine gute Fee, eine Polizistin oder Pippi Langstrumpf ... 

Die Arbeit mit dem "Inneren Team"[7] dient dazu, innere Stimmen zu identifizieren, aber auch, ihnen künftig den passenden Platz und die richtige Aufgabe zuzuweisen. Nicht selten werden dabei aus Kritikern Beschützer oder aus Nörglern gute Ratgeber, und Menschen entdecken in ihrem Inneren längst vergessene Schätze und Ressourcen wieder. Eine zentrales systemisches Konzept gegen Burnout! 

2.3 Glaubenssätze und Antreiber 

"Sei perfekt!" "Streng dich an!" "Beeil dich!" "Sei stark!" "Mach's den anderen recht!"[8] Innere Antreiber und Glaubenssätze sind die Stellen, an denen äußere Erwartungen und Forderungen immer wieder festmachen können. In dieser Einheit identifizieren wir z.B. mit Hilfe der "Laddering-Technik"[9] individuelle Glaubenssätze und Ansätze zur Veränderung. 

2.4 Life-Balance 

Um welche "Nabe" dreht sich Ihr Lebensrad? Welche Werte stehen im Zentrum? Welche "Speichen" hat das Rad außer der Arbeit noch? Und wie geht es den einzelnen Lebensbereichen? Hat das Rad eine Unwucht - und wie kann es wieder rund laufen? 

Mit Hilfe von Verfahren wie dem Lebensrad oder der "Personal Balanced Scorecard"[10] arbeiten wir an der persönlichen Lebensbalance. 

2.5 Rollenstrategien 

Wer nicht Nein sagen kann, kann auch nicht wirklich Ja sagen: In der fünften Einheit arbeiten wir an eigenen Positionen, Abgrenzungen und Gesprächsstrategien. Damit das nicht Theorie bleibt, sondern ganzheitlich erfahrbar und leicht in das Leben übertragbar wird, arbeiten wir szenisch - mit einer Erwartungslandschaft aus leeren Stühlen, die stellvertretend für die Menschen und Instanzen stehen, deren Erwartungen Sie unter Druck gesetzt haben ...  

2.6 Achtsamkeit 

Menschen unter Dauerstress "funktionieren" oft über längere Zeit noch recht gut. Wie Roboter, wie gesteuert durch einen Autopiloten ziehen sie ihre Bahnen durch den Tag, von einer Aufgabe zur nächsten, niemals wirklich mit dem Herzen dabei, mit den Gedanken schon bei der nächsten Herausforderung... Abgespalten von sich selbst, der Umwelt, den eigenen, tieferen Gefühlen, kann dieser Zustand Vorbote des drohenden Burnout sein, auch wenn er einige Zeit das Überleben sichert. 

"Achtsamkeit",  oder genauer "Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion"[11] gewinnt in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung in der Therapie nicht nur von Burnoutsymptomen. Hinweise auf einzelne Übungen zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, die Sie zu Hause selbst durchführen können, begleiten die fünf Sitzungen der systemintegrativen Burnoutprävention. Achtsamkeit kann Ihnen helfen, wieder im "Hier und Jetzt" anzukommen, herunterzufahren, wertschätzender mit sich und anderen umzugehen, den Moment wieder auszukosten: ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zu einem balancierten, gelassenen Lebensstil. 

3. Systemintegrative Burnouttherapie (REMIS-B)

REMIS-B ist das Kürzel für "ressourcenorientierte EMI-gestützte systemintegrative Burnouttherapie". "Remis" bedeutet dabei nicht (wie mancher Schachspieler jetzt vermuten wird) "Unentschieden", sondern stammt vom französischen "remettre", was "zurücksetzen" oder "wieder einsetzen" bedeutet. Eine Remission meint in der Medizin also das Zurückgehen oder Verschwinden einer Erkrankung.

REMIS-B ist unser Konzept für Burnout-Klienten, bei denen das Präventionsprogramm nicht ausreicht, weil sie bereits zu stark in einen Burnout abgerutscht sind, die aber noch stabil genug sind, so dass ein Klinikaufenthalt derzeit nicht erforderlich ist. Außerdem gilt es Patienten, die bereits in der Klinik waren, aber weiterhin eine intensive Begleitung benötigen. 

Zusätzlich zu den oben unter der Überschrift "Burnoutprävention" beschriebenen Ansätzen kommt die ganze Bandbreite systemischer Therapiemethoden zum Einsatz. Insbesondere die "Externalisierung"[12] von Gefühlen ist hier zu nennen, mit deren Hilfe belastende Gefühlszustände viel von ihrer Bedrohlichkeit verlieren. Die Arbeit mit Timelines hilft, verschüttete Ressourcen wieder zu entdecken und Hoffnung für die Zukunft zu entwickeln. Biographiearbeit und Skulpturarbeit hilft zu verstehen. Szenische Arbeit mit leeren Stühlen hilft, Ängste zu überwinden und Strategien zu entwickeln. Eine zentrale Bedeutung kommt im REMIS-B-Konzept allerdings EMI zu, der Eye Movement Integration Therapy.

EMI: Eye Movement Integration Therapy

EMI wurde ursprünglich als Trauma-Therapieverfahren[13] entwickelt. Um zu verstehen, wie EMI bei Burnout helfen kann, müssen wir uns zunächst noch einige Aspekte des Burnout-Syndroms vergegenwärtigen. Burnout ist nämlich keineswegs nur ein Erschöpfungs- oder Ermüdungszustand. Sonst müsste es - wie manche fälschlich annehmen - genügen, sich mal ordentlich auszuruhen oder in einen längeren Urlaub zu fahren. Das reicht aber keineswegs: Burnout ist verbunden mit einer Störung des emotionalen Gleichgewichts, oder, anders ausgedrückt, des Emotionsgedächtnisses. Dieses ist mit so vielen Erinnerungen an Hilflosigkeit, Überforderung, Überlastung und Frustration erfüllt, dass allein der Gedanke an die Arbeit oder gar das Betreten der Arbeitsstätte zu Angstzuständen und Gefühlen der Verzweiflung führt. Alles, was mit der Arbeit zu tun hat, wird möglichst vermieden. Matthias Burisch erwähnt, dass Burnout auch als fortgesetzte Reihe von Mikro-Traumatisierungen zu verstehen ist: dies würde manche Ähnlichkeiten des Burnout-Syndroms mit Traumafolgen erklären. 

EMI ist ein Therapieverfahren, das über Augenbewegungen arbeitet und darüber in der Lage ist, das Emotionsgedächtnis des Gehirns (insbesondere die "Mandelkerne" oder Amygdalae) anzusprechen. Im Emotionsgedächtnis gespeicherte chaotisch-negative Gefühle werden und "neutral" wieder abgespeichert. Im Bild gesprochen: Die giftigen Erinnerungen werden "verdünnt", so dass sie weniger oder gar nicht mehr weh tun. Dabei bleiben die Erinnerungen abrufbar: Nichts wird gelöscht, die Erinnerungen verlieren nur ihre bedrohliche Qualität. Untersuchungen haben ergeben, dass EMI die negativen Folgen belastender Erinnerungen wie Angstzustände oder depressive Gefühle um etwa 83% zu verringen vermag. Eine ausführlichere Darstellung des Verfahrens findet sich in unserem Artikel über EMI in der Traumatherapie.[14]

REMIS-B ist ein kompakter, intensiver, ganzheitlicher Ansatz der Therapie und Beratung bei Burnout. Er setzt gleichzeitig auf kognitiven, emotionalen und Handlungsebenen an und intendiert eine möglichst schnelle emotionale Entlastung und Reaktivierung von Ressourcen. Damit soll einer Chronifizierung der Symptomatik entgegengewirkt werden. 

Fußnoten:

1 Herbert Freudenberger: The staff burnout syndrome in alternative institutions. In: Psychotherapy: Theory/Research/Practice/Training 12 (1975), S. 72–83

2 Nach einer Untersuchung des wissenschaftlichen Instituts der AOK. Vgl. http://www.zeit.de/karriere/2011-04/burn-out-erkrankungen, abgerufen am 4.7.2011 

3 Vgl. Matthias Burisch: Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung. Berlin, Heidelberg 2010(4), S. 281

4 https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Burnout-Syndrom, abgerufen am 7.7.2011 

5 Burisch, a.a.O., S. 249 

6 Vgl.: Pierce J. Howard, Jane Mitchell Howard: Führen mit dem Big-Five-Persönlichkeitsmodell. Das Instrument für optimale Zusammenarbeit. Frankfurt/Main 2008.

7 Vgl. hierzu z.B. Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann: Das innere Team in Aktion. Praktische Arbeit mit dem Modell. Reinbek 2004(5).

8 Burisch, a.a.O., S. 259

9 Martin Fromm: Repertory Grid Methodik. Ein Lehrbuch. Weinheim 1995, S. 104f. 

10 Herwig R. Friedag, Walter Schmidt: My Balanced Scorecard. Freiburg 2001.

11 Vgl hierzu z.B. Linda Lehrhaupt, Petra Meibert: Stress bewältigen mit Achtsamkeit: Zu innerer Ruhe kommen durch MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction). München 2010(4).

12 Vgl. Rainer Schwing, Andreas Fryszer: Systemisches Handwerk. Werkzeug für die Praxis. Göttingen 2010(4), S. 283ff 

13 Trauma ist das griechische Wort für "Verletzung". Gemeint sind hier seelische Verletzungen.

14 Vgl. zu EMI: Danie Beaulieu: Eye Movement Integration Therapy. The Comprehensive Clinical Guide. Crown House Publishing, Bancyfelin (Wales) 2003 

 

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