Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut.

Mark Twain

Was passiert bei einem Trauma?

von Martin Drogat 2010

"Trauma" ist das griechische Wort für Verletzung. Der Begriff bezeichnet die seelischen Wunden und Narben, die Menschen davontragen können, wenn sie belastenden, seelisch überwältigenden Situationen ausgesetzt sind. 

Das sind zum einen Gewalterfahrungen, Missbrauch, Katastrophen, Unfälle, Verbrechen ("Trauma Typ 1"). Traumatisiert werden nicht nur Opfer, sondern oft auch Zeugen oder Helfer, etwa Mitarbeiter von Rettungsdiensten oder Polizisten. Auch schwere Erkrankungen oder der Tod naher Angehöriger können traumatisierend wirken. Zum anderen können auch Beziehungsbelastungen Traumata hervorrufen, insbesondere wenn sie über einen längeren Zeitraum andauern ("Trauma Typ 2"). Hier sind zum Beispiel emotionale Vernachlässigung, Verlassenheits-Erfahrungen, Verwahrlosung, Stalking, Ausgrenzung und Mobbing, Doublebind-Kommunikation (widersprüchliche Botschaften, Beziehungsfallen) oder vielfach wiederholte Negativ-Botschaften von wichtigen Bezugspersonen zu nennen. 

Was im Gehirn passiert 1: Bei "normalen" Erfahrungen werden alle Sinneseindrücke unter Mitwirkung der Großhirnrinde interpretiert, mit einem Sinn versehen, eingeordnet, vielleicht mit Hilfe der Amygdalae (des Emotionszentrums/Emotionsgedächtnisses) mit einer gefühlsmäßigen Färbung versehen und schließlich im Langzeitgedächtnis abgelegt. 

Bei traumatischen Erfahrungen funktioniert dies nicht: Die Sinneseindrücke "überschwemmen" das Gehirn, die Gefühle sind zu stark, die Amygdala übernimmt die Kontrolle und verordnet "archaische" Reaktionsmuster wie "Einfrieren" ("tot stellen"), "Flucht" oder "Kampf". Die Großhirnrinde wird gleichsam in der Befehlskette übergangen, die Sprachzentren oft außer Funktion gesetzt. Die Erinnerung kann nicht "integriert" und in sinnvollen Zusammenhängen im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden, sondern sie bleibt im Emotionsgedächtnis (den Amygdalae) eingraviert. Dabei stehen Erinnerungen an Bilder, Gerüche, Geräusche, Empfindungen fragmentiert, unverbunden nebeneinander und können durch sogenannte Trigger  jederzeit blitzartig an die Oberfläche geholt werden: An ein Trauma erinnert man sich oft nicht wie an etwas Vergangenes, sondern das Gefühl, manchmal verbunden mit Bildern oder anderen sensorischen Erinnerungen, kann den Menschen jederzeit wieder überfluten; die alte Blockade, die damalige Hilflosigkeit kann plötzlich wieder die Kontrolle übernehmen. 

 

Welche Folgen können Traumatisierungen haben?

Neben der "Posttraumatischen Belastungsstörung" 2 (sich aufdrängende Erinnerungen, Alpträume, Schlaflosigkeit, erhöhte Wachsamkeit, Gefühl von Betäubtsein ...) lassen sich eine große Zahl psychischer und auch körperlicher Symptome auch auf Traumatisierungen zurückführen: Depressionen, Ängste und Vermeidungsverhalten, Persönlichkeitsstörungen, manche (Teil-)Leistungsstörungen ... Traumatisierungen können das Immunsystem beeinträchtigen, soziale Beziehungen erschweren, dem beruflichen Erfolg im Wege stehen - es gibt keinen Lebensbereich, der durch seelische Verletzungen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Die gute Nachricht lautet: Ein Trauma ist kein lebenslanges Schicksal. Sehr oft ist Hilfe möglich. 

Was wir für Sie tun können

Unsere Basis ist auch hier eine Systemische Behandlungsmethode. Zusätzlich haben wir und unsere Klienten sehr gute Erfahrungen mit klinischer Hypnose nach Milton Erikson gemacht. Am erfolgreichsten ist allerdings die Behandlung mit EMI (Eye Movement Integration). EMI ist eine innovative Therapie bei seelischen Verletzungen (Traumatisierungen) und emotional belastenden Erfahrungen, in der der vom Therapeuten angeleitete, langsame Augenbewegungen eingesetzt werden. Da sehr direkte Verbindungen zwischen Augenbewegungen, sensorischem und emotionalem Gedächtnis bestehen, ist EMI in der Lage, auch alte belastende Erinnerungen in sehr kurzer Zeit an die Oberfläche zu holen, neu zu verknüpfen und ihnen ihre destruktive Macht zu nehmen. EMI hilft dem Gehirn, sich selbst zu heilen: es gibt dem Gedächtnis die Chance, Traumatisierungen und belastende Erfahrungen neu einzuordnen und ins Langzeitgedächtnis "wegzupacken". 

Wie arbeitet EMI? 

Im Unterschied zum bekannten EMDR arbeitet EMI mit langsamen Augenbewegungen (Smooth Pursuit Eye Movements - SPEM), die in über 20 Bewegungsrichtungen das ganze "Traumafenster" abdecken, in dem die belastende Erfahrung visuell gespeichert ist. Diese Bewegungen zielen darauf, die im Emotionsgedächtnis fragmentiert gespeicherten Erinnerungen behutsam hochzuholen, die Fragmente zusammenzusetzen, die damit verbundenen Gefühle zu "verdünnen", ihnen ihre Macht zu nehmen und sie mit positiven Erinnerungen zu überlagern. Da die Augenbewegungen direkt Selbstheilungsprozesse im Gehirn aktivieren, stellt EMI eigentlich eher eine "Neurotherapie" oder "Gehirn-Physiotherapie" dar als eine Psychotherapie.Die Abbildung zeigt symbolisch einige der Augenbewegungen, die in EMI verwendet werden.

Beschreiben wir es der Reihe nach:

  • In einem Anamnese-Gespräch wird geklärt, an welchem Trauma gearbeitet werden soll und ob EMI hier überhaupt die richtige Therapieform ist. Oft muss zunächst noch Stabilisierungs- und Ressourcenarbeit geleistet werden, ehe mit der EMI-Therapie begonnen werden kann.
  • KlientIn und TherapeutIn finden "Giftwörter", mit denen die Erinnerung an das belastende Geschehen aktiviert werden kann.
  • In der eigentlichen EMI-Sitzung folgt der Klient mit den Augen der Hand des Therapeuten, während er die "Giftwörter" hört. Dadurch werden Erinerungsfetzen aktiviert - zunächst meist belastende, dann aber zunehmend neutrale und oft auch positive Erinnerungen. Im Laufe einer Sitzung nimmt die vom Klienten empfundene Belastung meist deutlich ab und es werden immer mehr positive Erinnerungen aktiviert. 
  • Nach einer EMI-Sitzung sollte ein/e KlientIn sich Ruhe gönnen und sich möglichst zwei Wochen lang keinen größeren Stressituationen aussetzen. So lange ist das Gehirn damit beschäftigt, die alte belastende Erfahrung neu - und diesmal integriert und nicht mehr "vergiftet" - im Langzeitgedächtnis abzulegen.

Auch mit EMI wird aus einem Trauma keine schöne Erinnerung. Aber sie verliert oft einen großen Teil ihrer Macht, die Gegenwart zu beeinträchtigen.

Und was kann EMI noch? 

EMI ist definitiv kein Allheilmittel. Aber es hat über seine Rolle in der Traumatherapie hinaus einige sinnvolle Einsatzmöglichkeiten. 

  • Ressourcenaktivierung: EMI kann dazu genutzt werden, verschüttete Fähigkeiten zu (re-)aktivieren. Dazu werden die gleichen Augenbewegungen genutzt, aber gekoppelt mit positiven Erinnerungen und Gefühlen. Ressourcenaktivierendes EMI kann auch im Sport oder Auftrittscoaching als Mentaltraining eingesetzt werden. 
  • Stressreduktion: Andauernde Stressgefühle können sich verselbständigen und beginnen, ein Eigenleben zu führen. EMI kann helfen, diese Automatismen zu unterbrechen - besonders in Kombination mit Ressourcenaktivierung.
  • Angsterkrankungen: EMI kann auch hier maßgeblich zur Heilung beitragen, indem automatische Angstreaktionen entkoppelt werden. Manchmal reicht dafür eine einzelne Sitzung. 
  • Verarbeitung von Trauer und Verlust: Trauer ist eine normale und gesunde menschliche Reaktion auf einen Verlust; ein Prozess, der nicht künstlich (auch nicht durch den Einsatz von EMI) abgekürzt werden sollte. Manchmal gelingt es einem Menschen aber über lange Zeit nicht, innerlich Abschied zu nehmen und sich neuen Beziehungen zuzuwenden. Dann kann eine EMI-Sitzung helfen, diese Blockade zu lösen.

Fußnoten

  1 Vgl. dazu Danie Beaulieu: Eye Movement Integration Therapy. The Comprehensive Clinical Guide. Crown House Publishing, Bancyfelin (Wales) 2003, S. 35ff, aber auch Christiane & Alexander Sautter: Den Drachen überwinden. Vorschläge zur Traumaheilung. Ein Arbeitsbuch für Betroffene und für Therapeuten.Verlag für Systemische Konzepte, Wolfegg 2008, S. 41ff

In den USA werden je nach Untersuchung 50-90% der Menschen als in irgend einer Weise traumatisert eingestuft. Etwa 8% entwickeln mindestens einmal in ihrem Leben eine PTBS; bei Rettungskräften, Ärzten, Polizisten oder Soldaten kann der Wert über 50% betragen.

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